In der Vergangenheit haben die Notenbanken dieser Welt fast immer Gewinne gemacht, die dann in die Staatshaushalte der jeweiligen Länder geflossen sind. So hat die Deutsche Bundesbank im Zeitraum von 2010 bis 2019 insgesamt fast 25 Mrd. € an den Bundeshaushalt überwiesen. Für die Jahre 2020 und 2021 wurde wegen einer höheren Risikovorsorge (Begründung Pandemie) kein Gewinn erzielt. Es steht allerdings zu befürchten, dass die EZB und andere Notenbanken in den kommenden Jahren gigantische Verluste machen werden, was unangenehme Folgen für die Steuerzahler haben wird.
Die Schweizerische Nationalbank hat zuletzt offengelegt, dass sie 142 Milliarden Franken (143,3 Mrd. €) Verlust in den ersten neun Monaten dieses Jahres gemacht hat. Die Australische Notenbank musste bereits 37 Milliarden Dollar (ca. 23,3 Mrd. €) abschreiben. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-Notenbank (Fed) haben bisher noch keine entsprechenden Zahlen bekannt gegeben, aber man geht davon aus, dass auch sie gigantische Verluste ausweisen werden.
Was ist passiert?
Das Ganze ist eine unmittelbare Folge der Zinswende nach oben. Sie wird große Löcher in die Bilanzen der Zentralbanken reißen und das voraussichtlich auf mehrere Jahre hinaus. Ob die Reserven der EZB ausreichen werden, dies zu kompensieren oder abzumildern, wird man abwarten müssen. Was man aber schon absehen kann ist, dass die Auswirkungen auf die Staatshaushalte in Europa gravierend sein werden. Das gilt aber auch für die Vereinigten Staaten und viele andere Länder. Das könnte nach Ansicht von Experten dem Vertrauen in die jeweiligen Währungen deutlich schaden.
Für die Europäische Notenbank war die Zeit der Minuszinsen ein gutes Geschäft. Die Banken mussten einen Strafzins dafür zahlen, dass sie Gelder kurzfristig (meisten über Nacht) bei der EZB parkten. Doch inzwischen bringt die Verzinsung der Anlagen der Notenbanken weniger ein, als sie ihre Einlagen kosten. Denn mittlerweile müssen sie den Banken für deren Einlagen wieder ordentliche Zinsen zahlen, was aber in der Vergangenheit kein nachhaltiges Problem war. Doch das eigentliche Dilemma ist der in den vergangenen Jahren riesige Bestand an Anleihen, der aufgekauft wurde. Dieser bringt wenig bis gar keine Zinsen, in der Eurozone mitunter sogar Negativzinsen. Falls nicht in naher Zukunft wieder eine Zinswende nach unten erfolgt, könnten die Auswirkungen in den Bilanzen wohl länger spürbar sein. Experten schätzen, dass die Belastung für das Eurosystem 2023 bei etwa 60 bis 80 Milliarden Euro liegen könnte. In den folgenden Jahren soll der Verlust zwar kleiner werden, aber trotzdem würden innerhalb von drei bis vier Jahren etwa 100 bis 120 Milliarden Euro zusammenkommen. Für die US-Notenbank Fed dürfte die Summe in einer ähnlichen Größenordnung liegen (ca. 150 Milliarden US-Dollar).
Natürlich darf man nicht vergessen, dass die Notenbanken in den vergangenen zwölf Jahren auch enorme Gewinne mit diesen Aufkäufen gemacht haben. Somit kann man die bevorstehenden Verluste durchaus auch als Kehrseite dieser Ära sehen, oder auch als Preis, der für frühere politische Entscheidungen zu zahlen ist.
Immerhin hat die EZB für diesen Fall eine Vorsorge getroffen. So hat sie Rücklagen von etwa 120 Milliarden Euro aufgebaut. Diese können nun mit dem zu erwarteten Minus von 100 bis 120 Mrd. verrechnet werden und würden diese – falls die Prognose stimmt – abdecken. Sollte es nicht reichen und auch das Eigenkapital (ca. 10,8 Mrd. €) aufgezehrt sein, müsste ein normales Unternehmen Insolvenz anmelden oder neues Eigenkapital beschaffen. Doch die Notenbank ist kein normales Unternehmen. Denn Zentralbanken können zwar Verluste machen, aber sie können nicht pleitegehen, denn sie können sogar mit negativem Eigenkapital arbeiten. Die Währungshüter haben einen unglaublichen Vorteil: Das Geld kann nie ausgehen – sie drucken es ja selbst.
Das hätte allerdings in Zeiten von starker Inflation unangenehme Nebenwirkungen. Dadurch würde die Geldmenge ausgeweitet, was zu einer deutlichen Abwertung der Währung und wahrscheinlich noch mehr Inflation führe würde.
Es gibt zwei Alternativen für die Zentralbanken. Man lässt entweder die Verluste der kommenden Jahre auflaufen und verrechnet sie dann in späteren Jahren mit Gewinnen. Oder aber die Steuerzahler fangen die Verluste über eine Aufstockung des Eigenkapitals auf. In den USA hat man sich für den ersten Weg entschieden. Der Schatzkanzler in Großbritannien dagegen muss schon jetzt Geld an die Bank of England überweisen. Die dortige Regierung hatte darauf bestanden, dass die Gewinne stets komplett in den Haushalt fließen, so dass auf den Aufbau von Rücklagen komplett verzichtet wurde. Das führt jetzt zu zusätzlichen Belastungen für den Haushalt.
Was die EZB machen würde, wenn die Rücklagen aufgebraucht sind, kann man natürlich noch nicht abschätzen. Allerdings laufen beide Alternativen für den Steuerzahler auf fast das Gleiche hinaus. Werden Verluste mit späteren Gewinnen verrechnet, verzichten die Staaten jahrelang auf Gewinnabführungen und im Falle der Rekapitalisierung stellen sie die Summen sofort bereit.
Die Verluste der Notenbanken haben somit in den kommenden Jahren wahrscheinlich negative Auswirkungen auf die Haushalte der Staaten. Zudem müssen die Finanzminister damit umgehen, dass sich die Finanzierung der Staatsschulden durch das gestiegene Zinsniveau verteuert.
All das ist die Folge der Geldpolitik der vergangenen zwölf Jahre. Die scheinbar kostenlose „Super-Mario-Rolle“ (frei nach dem früheren EZB-Chef Mario Dragi) der Notenbanken in den vergangenen Jahren war wohl doch nicht ganz so frei von Nebenwirkungen. Das zeigt, dass auch die Mittel der Geldpolitik an ihre Grenzen kommen können. Das heißt für die Wirtschaftspolitik, dass sie nicht immer alle Krisen durch noch mehr Geld übertünchen kann und auch in normalen Zeiten die Ausgaben noch weiter erhöht. Denn sonst droht die Gefahr eines Vertrauensverlustes in die jeweilige Währung mit ungeahnten Folgen.
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